DEUTSCH / ENGLISH VERSION
(DEUTSCH)
Ich beschäftige mich unheimlich gern mit den verletzlichen Seiten des Menschen. Mit den Seiten, die wir alle gern voreinander verbergen, weil wir sie oft für nicht liebenswert halten. Es ist schon paradox, dass es genau diese Seiten von uns selbst sind, die uns menschlich machen. Unsere Traurigkeit und unser Frust, unsere Wut und unsere Unsicherheiten, unsere Ängste nicht zu genügen… jeder Mensch kennt doch diese Momente und daher sind es eben diese, die uns alle miteinander verbinden, egal welche Sprache wir sprechen, wie wir leben oder aussehen.
Wir Menschen streben so sehr nach Individualität. Ich habe den Eindruck, dass dieses Streben in der heutigen Zeit noch stärker geworden ist, in der auch der Vergleich durch Social Media Kanäle noch viel mehr Futter bekommen hat. Wir sehen die schönen Bilder der anderen und bei allen scheint es immer nur gut zu laufen! Was wir vergessen, weil wir es nicht sehen können ist, dass diese Menschen genau so struggeln auf ihrem Weg. Egal wie erfolgreich jemand auch sein mag, am Ende des Tages ist er/sie auch nur ein Mensch, der geliebt werden will und den Sinn seines Lebens sucht. Wir sind alle auf der Reise.
Das Streben nach Individualität ist dem Streben nach Zugehörigkeit oft entgegen gesetzt. Es ist sind zwei sehr urtümliche Grundbedürfnisse im Menschen: Zugehörigkeit zu einer Gruppe / Gemeinschaft (welche in Urzeiten das Überleben gesichert hat) und Selbstverwirklichung, den eigenen Platz in dieser Gruppe / Gemeinschaft / in der Welt / dem eigenen Leben, zu finden.
Oft stehen sich diese beiden Bedürfnisse gegenüber und wir müssen uns entscheiden:
Wollen wir dazu gehören und uns anpassen, oder wollen wir unseren ganz eigenen Weg gehen und unsere Individualität formen? Ich glaube, dass wenige Menschen wirklich eine eigene Individualität entfalten können, da sie nicht den Mut haben sich selbst wirklich tief zu begegnen und auch für längere Zeiten und Phasen allein zu sein. Vielen macht es Angst alleine zu sein, dabei ist Alleinsein ab und zu unglaublich heilsam und wichtig. Jeder von uns ist individuell und einzigartig, aber wenige Menschen kennen sich selbst wirklich. Und sich selbst kennen zu lernen ist die Voraussetzung für ein Leben, das wir nach uns selbst, unseren Bedürfnissen und Wünschen ausrichten können.
Die Angst etwas zu verpassen ist bei uns allen immer wieder so groß, dass wir ständig im Außen sind, statt mal nach Innen zu gehen. Paradoxerweise verpassen wir so aber oft uns selbst.
Dazu fällt mir ein wunderschönes Gedicht von Rilke ein:
Über die Geduld
(von Rainer Maria Rilke)
„Man muss den Dingen die eigene, stille ungestörte Entwicklung lassen, die tief von innen kommt
und durch nichts gedrängt oder beschleunigt werden kann, alles ist austragen – und dann gebären…
Reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt und getrost in den Stürmen des Frühlings steht, ohne Angst, dass dahinter kein Sommer kommen könnte. Er kommt doch!
Aber er kommt nur zu den Geduldigen, die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen läge, so sorglos, still und weit…
Man muss Geduld haben Mit dem Ungelösten im Herzen, und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben, wie verschlossene Stuben, und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind.
Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich, ohne es zu merken, eines fremden Tages in die Antworten hinein.“
(Anmerkung: Diese Zeilen stammen aus einem Brief von Rainer Maria Rilke „an einen jungen Dichter“ (Franz Xaver Kappus), in dem sie eingestreut sind.)
Lernen wir die Fragen selbst lieb zu haben. Und eines Tages leben wir vielleicht, von uns selbst unbemerkt, von innen nach außen, in die Antworten hinein…
Eure Hanna Blume :*
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(ENGLISH)
I really enjoy dealing with the vulnerable aspects of people. With the pages that we all like to hide from each other because we often consider them unlovable. It is paradoxical that it is precisely these sides of ourselves that make us human. Our sadness and frustration, our anger and our insecurities, our fears of not being satisfied … everyone knows these moments and therefore it is precisely these moments that connect us all, no matter what language we speak, how we live or look.
We humans strive so much for individualism. I have the impression that this striving has become even stronger today, in which the comparison through social media channels has received a lot more fodder. We see the beautiful pictures of the others and everything seems to go well! What we forget, because we cannot see it, is that these people are pounding on their way just like that. No matter how successful someone may be, at the end of the day he / she is just a person who wants to be loved and seeks the meaning of his life. We are all on the road.
The pursuit of individualism is often opposed to the pursuit of belonging. There are two very primeval basic needs in humans: belonging to a group / community (which in primeval times ensured survival) and self-realization to find one’s own place in this group / community / in the world / one’s own life.
Often these two needs face each other and we have to choose:
Do we want to belong and adapt, or do we want to go our very own way and shape our individuality? I believe that few people can really develop their own individuality because they do not habe the courage to meet themselves really deeply and to be alone for longer times and phases. Many are scared to be alone, but being alone incredibly important from time to time. Each of us is individual and unique, but few people really know themselves. And getting to know yourself is the prerequisite for a life that we can align with ourselves, our needs and desires.
The fear of missing something is so great in all of us that we are constantly on the outside instead of going inside. Paradoxically, however, we often miss ourselves this way.
A beautiful poem by Rilke comes to my mind:
„About the patience
(by Rainer Maria Rilke)
You have to give things their own, quiet undisturbed development that comes from deep within
and nothing can be pushed or accelerated, everything is carried through – and then give birth …
Ripe like the tree that does not press its sap and stands confidently in the storms of spring, without fear that no summer might come behind it. He’s coming!
But he only comes to the patient ones who are there as if eternity lay before them, so carefree, quiet and wide …
You have to be patient with the unresolved in your heart and try to love the questions yourself, like locked rooms and like books that are written in a very foreign language.
It’s about living everything.
If you live the questions, you may gradually, without realizing it, live into the answers on a strange day.“
(Note: These lines come from a letter from Rainer Maria Rilke „to a young poet“ (Franz Xaver Kappus), in which they are interspersed.)
Let’s learn to love the questions ourselves. And one day we might, unnoticed by ourselves, live inside out, into the answers …
Your Hanna Blume :*
Dinge haben
ihre eigene Stille
mit dem Lot
in Tiefen
geschöpft
den eigenen Traum
zu neuer Einsicht
und Entwicklung
ein König will
den Untertan
von Freiheit
will er nichts wissen
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